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Wo wir uns finden, ohne zu suchen

Haus an einem Fjord in Norwegen

Wenn alles zu viel wird, ob persönliches Chaos oder große Krise, zieht es uns hinaus. Wo finden wir uns, wo sind wir aufgehoben? Ein Wald, ein Feld, ein Ufer, das genügt vielleicht schon.

Krisenorte

In Zeiten, in denen wir angespannt sind, gehen wir nach draußen. Um den Kopf freizukriegen, um unsere Gedanken zu ordnen. Menschen schreiben Reden auf Waldlichtungen, entscheiden sich für ein Job nach einem Spaziergang am Meer. Das tun sie nicht beim Shopping, beim Serienstreaming oder beim Squash. Je größer die Krise, desto eher tun das auch Menschen, die sonst nicht aus Straßen, Gebäuden und belebten Plätzen wegzukriegen sind. Eine Freundin erzählte mir einmal von ihrem „Krisenort“ in der Eifel, den Weg dorthin fände ihr Auto inzwischen von allein. Auch ich habe einen solchen Ort (nicht in der Eifel).

Pandemische Spaziergänge

Als in den letzten Monaten die Anspannung größer wurde, und die Ablenkungsmöglichkeiten weniger, da begegnete ich in der Natur immer öfter Menschen, und immer mehr Menschen auf einmal. Das war mir nicht so recht, ehrlich gesagt – ich wollte die Stille, und nicht das Geplapper, ich wollte Grün, und keine Snackverpackungen und Taschentücher im Gebüsch. Aber ich hatte etwas Neues zum Nachdenken: Gehen die Menschen nur ins Grüne, weil das Fitnessstudio zu hat? Oder entdecken sie etwas anderes, was sie trägt – und vielleicht noch besser?

Mit sich selbst auskommen

Wer in die Stille geht, riskiert etwas. Man kann sich nicht ablenken. Gerade das ist aber Strategie Nr. 1, wenn es unangenehm wird: Wer kauft, liked oder surft, und genau darüber währenddessen oder hinterher postet und chattet, der braucht sich nicht dem auszusetzen, was gerade unangenehm ist. Man spürt es einfach nicht mehr, und wenn man Glück hat, hilft das auch das nächste Mal.

Wer aber (allein) in die Natur geht, der muss es mit sich selbst aushalten. Mit allem, was dann kommt. Aber vielleicht ist das gerade das Gute? Es fällt schwer, aber wenn man sich mitnimmt, auf den Weg durch den Weinberg, und sich immer noch an der Hand hält, wenn man wieder zuhause ist, dann ist man sich ein Stück nähergekommen. Hat vielleicht einen besonderen Gedanken, ganz in sich allein und von allein, gedacht. Und da könnten noch mehr sein.

Waldbaden – lieber ohne Hashtags

Schon lange vor der Pandemie kam der Trend des Waldbadens auf – eine Reaktion auf zu viel Reize, oder die Eroberung des letzten Rückzugsorts? Um neue Fotolocations für Instagram zu erschließen, einen neuen Trend zu kreieren? Lieber nicht. Sich aussetzen, sich klein fühlen angesichts einer Buche, und niemandem davon erzählen, es reifen lassen und genießen, das ist es.

Anders leben

Henry David Thoreau schrieb in “Walden”: “Ich bin in den Wald gezogen,weil mir daran lag, bewußt zu leben, es nur mit den wesentliche Tatsachen des Daseins zu tun zu haben. (…)..um nicht, wenn es ans Sterben ging, die Entdeckung machen zu müssen, nicht gelebt zu haben.” Und er schrieb: “Wir müssen lernen, wieder zu erwachen und wach zu bleiben. Nicht auf mechanischem Weg, sondern durch ein ständiges Erwarten der Morgendämmerung, die uns auch in unserem tiefsten Schlaf nicht verlässt.”

Das Wesentliche des Daseins erleben, allein in der Natur: sehr wahrscheinlich. Aber ohne es zu suchen, ohne etwas – diesmal dem Wesentlichen? – hinterherzulaufen.

In anderen Städten leben

Das dänische Architekturbüro Henning Larsen stellte sich die Frage, wie sich die Architektur in der Zeit nach Pandemie durch diese verändern werde. Die Aufforderung, zu Hause zu bleiben, der eingeschränkte Zugang zur freien Natur und zum Tageslicht, hätten das intrinsische Bedürfnis danach deutlich gemacht. “Ohne diese Dinge sind wir gestresst, isoliert und einsam”, heißt es in der Antwort eines Architekten.

Vielleicht richten wir in Zukunft unseren Blick mehr auf die Nähe zur Natur, wenn es um unseren Lebensraum geht. Nicht nur, weil Menschenansammlungen momentan ein Risiko bedeuten. Sondern weil es uns gut tun könnte. Oder bleibt oder wird das noch mehr ein Luxus für Wenige? Ich hoffe nicht.

(Und hier könnt Ihr Euch jetzt die Diskussion über die Nutzung der Innenstädte, von Wohnraum, aber auch der Natur, und zwar verantwortungsbewusst, hindenken….)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2 Kommentare

  1. matthew sagt

    Wie schön formuliert. Kritisch, ohne Abwertung, und beobachtend, ohne Überheblichkeit. Danke!

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